Klassenarroganz ist umso erquicklicher, je weniger gerechtfertigt sie ist. Im Dresdner Barockviertel ist heute Cocktail-Night, was im Klartext bedeutet, dass alle Arten von Milfs die Gelegenheit haben, ihre Solariumbräune und ihre Sommerkleider mitten in der Woche auszuführen und die Geschäfte bis 22 Uhr Cocktails mixen, in der Hoffnung, die aussichtslosesten Ladenhüter, durch festliches Drapieren und Beleuchten den beschwipsten Kunden besser andrehen zu können.
Ich habe wie immer nichts davon gewusst und bin quasi im Pyjama, mit zerzausten Haaren, einer prächtigen Knoblauchfahne und meinem Hund, der, nun ja, machen wir uns nichts vor, ein wenig riecht, da rein geplatzt. Der Hund zog mich natürlich gleich in eine Parfümerie rein (er zieht mich immer irgendwo rein, früher waren’s Kneipen, danach Spätis. Räumlichkeiten, die er offenbar am besten kennt). Da standen wir nun. Ringsum Flakons, Spiegel, Bürokauffrauen in geilen Schuhen, Typen mit einem «Ich-bin-in-der-Hölle»-Gesicht, alle mit mindestens drei Cocktails intus, schwere Limetten-und Vodkadämpfe in der Luft. Ich streunte ein wenig zwischen den Regalen, alles, was ich dort sah, kannte ich schon auswendig. Ich und Parfümerie — ist ein Thema für sich. Es fing vor vielen vielen Jahren an, da war ich noch ganz klein, als das mystische Wort «Orchidee» in meinem Wortschatz einen Platz fand. Es muss für meine damaligen Mitmenschen ziemlich anstrengend gewesen sein, weil ich seitdem begeistert und ein wenig manisch alle Phänomene und Gegenstände auf ihre Orchideenhaftigkeit untersuchte. Orchidee, Orchidee, Orchidee. Irgendwann kamen Iris, Flieder, Tulpen und Tannen hinzu, die fleischigen Köpfe der Pfingstrosen dufteten wie Himmel, hatten jedoch Jahr für Jahr einen immer schlimmer werdenden Ameisenbefall. Traditionen müssen sein. Heute habe ich einen ganz guten Überblick, welche Zutaten wo auf welche Weise gemixt werden und weiß leider auch, was Nischenparfümerie bedeutet. Leider, weil es nach dieser Erfahrung kein Zurück mehr gibt. Wenn du weißt, wie hochwertige Zutaten sich nach und nach auf der Haut entfalten, kannst du das pinke Zuckerwasser, das es in den Läden zu kaufen gibt, nie wieder ernst nehmen. Ich weiß auch, wie man es anstellt, nach Amouage und Roja Dove zu riechen, ohne auch nur einen einzigen Cent auszugeben. Wenn man sich lange genug mit einer Sache beschäftigt, öffnen sich immer mehr Wege.
Das alles konnten die Verkäuferinnen natürlich nicht wissen und ich gebe einfach viel zu gerne den Hofnarren, sobald ich ein Pfui-Gesicht erblicke. Frauen mit einem Pfui-Gesicht sind mein rotes Tuch.
Anfangs ignorierten sie mich, in der Hoffnung, dass ich schon irgendwie von selbst abhauen würde. So mache ich das auch, wenn mir etwa ein offensichtlich sehr gestörter Flaschensammler auf die Pelle rückt. Meistens klappt’s. Leider, leider…da hatten sie wirklich Pech, ich muss meinen Trotz hin und wieder irgendwo abladen, sonst platze ich. Mit dem denkbar dümmsten Gesichtsausdruck starrte ich eine Verkäuferin an. Ich sah kein Gesicht, sondern ein 45-minütiges Prozedere: Serum, Creme, Concealer, ne gute Schicht CC, aktuelle dekorative Herbstfarben. Es sollte ein Porzellanteint werden, raus gekommen ist ein Porzellanteller. Ich bin mir sicher, dass sie sonst eine ganz normale Frau ist, mit authentischen Gefühlsregungen und menschlichen Reaktionen, aber wir waren in unseren Rollen. Sie — High Society, ich — Till Eulenspiegel. «Was kann ich denn für Sie tun?»- seufzte sie fast gequält. Ich fragte nach dem neusten Kenzo (Spike Jonez hat einen großartigen Werbespot kreiert, Wahnsinns-Choreografie, fantastische Margaret Qualley in der Hauptrolle). Davon wusste sie nichts, aber um fair zu bleiben, ich sagte ja auch: «Na das mit dem Auge, Sie wissen schon.». Das mit dem Auge…oh man, was will diese Pennerin eigentlich, sie kauft doch eh nichts. Mein Hund sah mich an, legte sich hin und gähnte. Er kennt mich einfach zu gut. Ich fragte, was das eigentlich für eine Party ist und bekam einen Flyer.
-Das ist die Cocktail-Night, hier sehen Sie die Liste der Läden, die ihre Türen öffnen. (Seufzer)
-Ooh…
-Ja… (Seufzer) und wir mixen Cocktails. Hier ist die Liste der Cocktails, die wir mixen. (Seufzer)
-Ach wie schade, dass ich aufgehört hab’!
-??? (kognitive Dissonanz. Ihr System meldet einen unbekannten Fehler. Sie weiß nicht, wo sie mich einordnen soll. Die Pennerin sagt Dinge, die grundsätzlich schon zu ihrem Outfit passen, aber sie sagt die in einem seltsamen Ton. Was ist das, was da mitschwingt? Sarkasmus? Überheblichkeit? Verrücktheit? Was ist das? Was ist das? Wohin damit? Ich versteh’ das nicht. Aaaaaa!)
Sie wirft ihren Kolleginnen einen vielsagenden Blick zu. Ich will eigentlich gar nicht weiter machen, das ist alles so klar und läuft immer nach dem gleichen Schema ab. Wir sind ja alle so faul. Es ist menschlich, den einfachen Weg zu gehen, sich von seinem Gegenüber schnell ein sehr festes Bild zu machen und von diesem nicht mehr abzurücken, die Dinge nur von einer Seite zu betrachten. Es wäre beinah traurig, wenn es manchmal nicht so lustig wäre. Sie starrt durch mich hindurch. Ein glasiger Blick, der trotz seiner Leere so viel mitteilt. Dass sie es z. Bsp. satt hat, jeden Morgen ihre Haare zu bügeln, sie macht das gern, aber nicht unter der Bedingung, dass der Urlaub immer kürzer wird und die Überstunden immer selbstverständlicher.
-Haben Sie was von «Amouage»? — höre ich meine fiepsige Stimme fragen.
Sie wacht plötzlich auf. Wie Amouage??!! Hat die gerade wirklich diese Vokabel benutzt? Woher weiß sie denn, dass so was wie Amouage überhaupt existiert?
-Nü-nü, Sie sind doch eine Filiale von «XY…»? — nerve ich weiter.
-Ja…aber, nein, aber ja. Das macht nur die Filiale in der Altstadt. Sie haben noch geöffnet…
Blablabla. Ich finde mich ja selber anstrengend. Bin dann auch wirklich raus gegangen. Musste leider den freundlichen Vorschlag ablehnen, mir eine von diesen synthetischen Bonbon-Flüssigkeiten aufs Handgelenk sprühen zu lassen. Sorry. Die hat mir schon im Jahre 2009 nicht gefallen. Ich bin mittlerweile mehr der «Erdöl-Holz-Kakao-Haschisch-Leder»-Typ.
Worauf ich eigentlich hinaus wollte: Ich kann diese Frauen wirklich gut verstehen. Natürlich nölt da mein inneres, abgewertetes Arschloch: «Ooh, die Gabi hat’s geschafft, sie ist Parfüm-Fachverkäuferin.» aber im Grunde genommen weiß ich, dass sie an der Quelle sitzen. An der Quelle der Schönheit. Ich bin neidisch. Sie beschäftigen sich von 6:30 bis 21:00 mit den Dingen die…nun ja…lebensbejahend sind. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie es ist, sich für gar nichts mehr zu interessieren, die Tatsache auszublenden, dass man so was wie eine Frau ist, depressiv und mürbe durchs Leben zu stampfen und sich vor seiner eigenen Körperhaftigkeit zu ekeln. Und daran, was für ein Kick und was für ein Sauerstoff-Rausch das ist, nach und nach aufzuwachen und seinen eigenen Körper zurück zu gewinnen. Jemand, der jahrelang im Bett lag, und endlich in den Garten darf, weiß wie es ist. Man kann sich an den Tannen nicht satt sehen, man möchte die Luft, und den Herbst, und den violett schimmernden Himmel, und die weiß gestrichenen Parkbänke, und und und, einatmen. Aufsaugen. Imprinten. Speichern. Den Körper wieder wahrnehmen, Nägel lackieren, Haare kämmen…leben.
Es ist immer ein Fest, wenn die Schönheit zurück kommt.
https://www.youtube.com/watch?v=ABz2m0olmPg
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