Effi Mora

Aus dem Tagebuch von Benedikt-Zachary Maria von Chuchle II

03.11.2014

Wertes Tagebuch,

du weißt ja, dass ich zwar ein Mann vieler Worte bin aber dennoch ein würdevolles Auftreten und eiserne Selbstbeherrschung an den Tag lege. Ja? Weißt du das? Gut.

Gestern war die Verrückte da. Sie kam völlig unerwartet zu Besuch und ich hatte keine Zeit, mich vorzubereiten, deshalb kann man den Erfolg meines Vorhabens, sie zu Tode zu ignorieren, als ambivalent bezeichnen. Es ist mir sowohl gelungen als auch nicht gelungen. Schrödingers Katze der Selbstbeherrschung quasi. Ich war schon den ganzen Vormittag etwas unpässlich und glaubte, in jedem Geräusch ein Zeichen zu deuten, dass eine Prüfung auf mich zukommt. Als eine Autotür draußen laut zugeschlagen wurde, ahnte ich es schon. Und dann hörte ich diese fiepsige Stimme sagen: «Oh, das Apfelbäumchen hat der Benny aber schön groß gegossen!». Unerhört, diese Frau! Je mehr ich versuchte meine Glieder zu beruhigen, desto wilder schlug mein Herz.

Die Haustür ging auf…

Ich hörte ihre unkoordinierten Schritte unten im Treppenhaus…

Dann nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und war gerade dabei, ihr entgegen zu schreiten, gediegen und voller Würde, als irgendein hormonelles Ungleichgewicht eintrat und meine Pläne kaputt machte. (Ich habe die neuen Lammknochen im Verdacht, sie waren wirklich sehr rosa und mild, das triggert meine feminine Seite).
Oh, Tagebuch, ich bin gescheitert. Fürs Erste. Meine Stimme schien jemand anderem zu gehören (ich klinge nicht so!) und meine Gebärden waren so widerwärtig anhänglich, dass ich, da ich nun wieder klarer denken kann, mit Sicherheit behaupte: ich hatte in diesem Moment einen schweren Dissoziationsschub erlitten. Irgendeine Subpersönlichkeit in mir hat mir dies Übel angetan. Meine einzige Hoffnung besteht darin, dass die Verrückte es genau so gedeutet hat. Ich könnte mir in den Schwanz beissen, wenn ich nur daran denke, wie ich gewinselt und gebellt und mit meinem ganzen Körper signalisiert habe, dass sie mir gefehlt hat! Apropos Körper…Das erste, was die Verrückte gestern über mich sagte (ja ja, wertes Tagebuch, sie spricht mich nie persönlich an, immer nur in 3. Person und das habe ich jahrelang ertragen) war: «Boah, ist der moppelig geworden! Eine richtige Wurst! Guck dir bitte diesen Rücken an!». Zum Glück war diese Kränkung machtvoll genug, um meinen Stolz wieder zu aktivieren. Als sie mit mir hinaus zu meinem Feld ging und mich dort von der Leine ließ, da rannte ich nicht etwa los wie ein dümmlicher, ewig grinsender Husky, nein nein, wertes Tagebuch, ich ging leichten Schrittes einige Meter von ihr entfernt und zwar den Weg entlang, den ICH entlang gehen wollte. Ha! Hinter mir hörte ich ein leises Schniefen. So ist es richtig.

In diesem Sinne — gehab dich wohl, Tagebuch.

Dein Benedikt

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