Effi Mora

Aus dem Tagebuch von Benedikt-Zachary Maria von Chuchle VII

17.03.2016

Liebes Tagebuch,

ja, wie du siehst, habe ich schon sehr lange nichts geschrieben. Ich führe zur Zeit ein bequemes, ereignisarmes Leben und mein säuerlich-ver­drieß­licher Gesichtsausdruck, den ich mir seit Jahren täglich für mindestens drei Stunden in Folge auf mein Antlitz zaubere, hat endlich Früchte getragen und meine Verrückte dazu gebracht, das Hundekörbchen ganz abzuschaffen, anstatt es immer wieder zu verschönern, neu zu drapieren, zu optimieren und es mir schmackhaft machen zu wollen. Ich besitze nun einen eigenen Sessel, und da dieser inzwischen zu 95,99% aus meinem Fell besteht, wird auch nie wieder ein Mensch sich erdreisten, ihn zu begehren. Ha. Ha.
Weshalb ich eigentlich schreibe, liebes Tagebuch, ist, weil ich dir von unserem heutigen Ausflug berichten möchte. Du weißt ja, ich mache mir nun schon seit 5,5 Jahren Sorgen um meine Verrückte, sie gibt sich sehr viel Mühe, ihr wunderliches Oberstübchen nicht komplett einstürzen zu lassen, doch manchmal sickert’s durch und dann plagen mich allerlei zukunftsbezogene Ängste. Bei wem wohne ich, wenn sie unwiederbringlich in die Anstalt abtransportiert wird? Wer kauft mir meine Biomöhren? Ich mag neuerdings nur die gelben, sie sind saftig und aromatisch. Da mir immer noch niemand einfällt, der sich meiner annehmen würde, habe ich beschlossen, ein Konto bei der Bank zu eröffnen und alle Münzen, die meiner Verrückten runter fallen bzw. die sie überall vergesslich rum liegen lässt (und das sind, weiß Gott, nicht wenige) dort nach und nach einzuzahlen. Das Problem besteht hauptsächlich darin, und das ist mir heute beim Gassigehen erneut bewusst geworden, dass ich in der Stadt so gut wie nie ohne Leine laufe. Banken gibt es dummerweise weder im Wald noch an der Elbe. So ein Malheur aber auch! Immer, wenn wir von der Elbe zurück kommen, laufen wir an drei (drei!! welch Möglichkeiten!) Banken vorbei und jedes Mal öffnen sich freundlich einladend die Schiebetüren, automatisch zieht es mich hinein, ein Mitarbeiter lächelt mit perlweißen Zähnen und winkt: «Kommen Sie, Herr von Chuchle, wir haben bereits auf Sie gewartet.», ich rieche Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstbestimmung! Endlich! Endlich selbst entscheiden, was auf den Tisch kommt, nie wieder dies erniedrigende Dasein….ein Ruck an der Leine! «Wat machstn duuuuu? Hier lang. So ist es fein.» Zerplatzt. Wieder zerplatzt. Dabei wollte ich ihr sogar ein Geschenk machen. Sie schleicht nämlich seit Monaten um eine winzig kleine blaue Kaffeetasse herum, die sie im Schaufenster eines Antiquitätengeschäfts erspäht hat. Italienisches Porzellan, nichts besonderes, aber irgendwie hübsch. Frauen stehen auf solchen Kram. Ich könnte mir diese Tasse leisten, wenn sie mich nur endlich ein Sparkonto eröffnen ließe. Aber wie soll ich ihr denn erklären, warum ich unbedingt eins brauche? Sie hofft ja immer noch gesund zu werden. Eine moralische und ethische Zwickmühle, die mich dazu bringt stundenlang die Wand anzustarren. Ich finde keine Lösung.
Aber das war nicht der Grund, weshalb ich schreibe. Heute, als wir in unsere Straße bogen, hörte ich meine Verrückte sagen:»Leck mich am Arsch, entweder hab ich ein Déjà-vu oder es steht schon wieder ein Feuerwehrauto vor unserem Haus.». Ja, da stand tatsächlich ein Feuerwehrauto vor unserem Haus. Und die Gesamtsituation ähnelte auch der von vor 4 Jahren — wir kommen vom Spaziergang zurück, Feuerwehrautos vor unserem Haus, der Laptop steht offen auf dem Tisch, ringsum alles voller Löschwasser, die gesamte rechte Wohnungshälfte nass und stromlos, auf dem Laptop kein einziger Tropfen. Damals hat’s in ihrem Kopf ziemlich laut «rrratsch» gemacht, weshalb ich ja auch überhaupt anfing, Münzen in meinem Körbchen zu bunkern. Nicht etwa, damit sie ihren Freunden Anekdoten über meine Sparmaßnahmen zum Besten geben kann. Nein, verdammt, ich hatte schon damals für meine Flucht gespart. Es stellte sich zum Glück heraus, dass die Feuerwehr heute aus irgendwelchen anderen Gründen da war, möglicherweise ein Kätzchen von Balkon geholt, ich kann es nicht mit Sicherheit sagen. Wir sitzen nun wieder in der Wohnung und ich traue mich nicht, sie anzusehen, aus Angst, dass solche Wiederholungen endgültig sämtliche Drähte in ihrem heißgelaufenen Hirn durchknipsen und sie vielleicht schon längst sabbert und an ihren Haaren rum kaut.
Ich wende mich an die werten Leser meiner Aufzeichnungen: wenn es euch einfällt, wie ein gut sozialisierter, wohl riechender, 17,6 kg schwerer Gentleman in den besten Jahren zu einem eigenen Konto kommen kann, schreibt mir eine Nachricht und lasst die Flasche links der Augustusbrücke ins Wasser, so erreicht sie mich garantiert, denn an der Elbe kontrolliert mich meine Frau Mora nicht ganz so besessen.

Gehabt euch wohl, meine Leser. Gehab dich wohl, Tagebuch.

Euer Benedikt.

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