Effi Mora

Die Erziehung des Partners zu mehr Gehorsam.

21.05.2018

Ja, der Titel ist bewusst gewählt, liest doch sonst keiner.

Polyamorie ist ‘ne smoothe Sache. Ich habe mich mit 8 Jahren schon gefragt, wie das bitteschön gehen soll, wenn D. und ich jetzt hier unterm Kirschbaum heiraten und unsere Kaugummisticker fusionieren, und dann fängt das Schuljahr wieder an und ich fahre nach Sankt Petersburg, wo mein Freund S. auf mich wartet, mit dem ich auch unmöglich nur befreundet sein kann, weil er mir doch dieses Tarzanbuch geschenkt hat, und weil er auf dem langen Gang des Wohnheims eine ganze Galaxie aus Knetmasse gebaut hat, wo er Präsident ist und ich seine Sekretärin. Aber ich kann D. auch auf keinen Fall NICHT heiraten, er hat doch diese Haare und diesen Pullover, und wenn es heiß ist und wir zum Fluss fahren, nimmt er mich auf dem Gepäckträger seines Fahrrads mit, weil ich noch kein eigenes hab. Aber was wird dann aus S.? Er hat meiner Sekretärin-Spielfigur schon einen Namen gegeben und einen fliegenden Roboter namens Zoron geknetet, den ich immer rufen soll, wenn ich mit meinem Auto von einer Galaxie-Insel zur anderen muss, dann kommt er angeflogen und trägt mich und das Auto über die zersprungenen Kacheln, die in unserem Spiel das Wasser darstellen. Schwierig das alles. Ein furchtbares Dilemma sogar.

Mit dem Phänomen Polyamorie selbst ist alles in Ordnung. Schließlich ist es eine persönliche Sache, die jeder zur Selbstregulation fähige Mensch mit sich klärt. Man muss sich Polyamorie halt nur leisten können. Und da wird’s abartig ambivalent.

Als Single hat man’s gut, da kann man sich zu Tode polyamorieren und kommt gar nicht erst in Erklärungsnot. Das schlimmste, was einem passieren kann ist, dass man unter dem eigenen Gefühlschaos irgendwie leidet. Aber witzigerweise leiden viele Menschen, die zur Polyamorie neigen, dann nur so ‘n bissl, so anstandshalber. Weil intensive Gefühle welcher auch immer Polarität oft angenehmer sind als totale Leere. Leid veredelt die Seele, man ist produktiv und hat diesen irren Glanz in den Augen. Und wenn man nach Hause kommt, sitzt da niemand weinend auf der Couch, der zwar Dinge sagt wie: „Ich komme klar, mach was du willst“ aber mit seiner ganzen Körpersprache nach Hilfe schreit.

Mir ist schon klar, dass das Bilderbuch-Szenario, bei dem sich zwei souveräne, emotional unabhängige Menschen treffen, zusammen kommen, sich darüber einigen, was für beide akzeptabel ist und was die potentiellen Dealbreaker sind, es irgendwie hinkriegen Freiheit und Respekt zu verbinden, eher selten ist. Viel häufiger sieht man, wie einer der beiden Partner plötzlich aufsteht, auf den Tisch haut und sagt: „So. Ich kann nicht länger gegen mich selbst handeln. So bin ich und so darf ich sein, ich hab’s im Internet gelesen.“. Ganz ganz selten hüpft dann der Andere vor Freude durchs Zimmer und behauptet, nur darauf gewartet zu haben, weil es ihm nämlich genau so geht.

In Wirklichkeit kommen in echten polyamoren Beziehungen solche überraschenden Kehrtwendungen gar nicht erst zustande, weil es auch so schon offensichtlich war, dass beide so sind. Meistens ist der Partner, um es vorsichtig auszudrücken, ein wenig irritiert und versteht nicht, wie das passieren konnte, dass seine gewohnte, kuschelige Welt jetzt plötzlich so massiv bedroht wird. Wenn man an diesem Punkt ist, war die Beziehung schon die ganze Zeit im Ungleichgewicht.

Damit die eigene Freiheit nicht zur Maßnahme wird, bei der es darum geht, sich den Partner ein bisschen bequemer zu kneten und ihn nach und nach zur Polyamorie zu erziehen, muss man vor allem zu sich selbst ehrlich sein. Ist mein Partner wirklich ok damit oder will er möglicherweise mehr Loyalität und mehr Verbindlichkeit, als ich geben kann? Den Freunden gegenüber kann man schon behaupten: „Aber ja, natürlich, wir reden immer ganz offen über alles und es ist für uns beide ok.“. Aber sich selbst kann man nicht so gut bescheißen. Kann man schon, aber das wird einem das Unterbewusstsein nicht einfach so durchgehen lassen.

Wenn man kurz die vorbereiteten Rechtfertigungen im eigenen Kopf ausschaltet, weil es niemanden gibt, vor dem man sich rechtfertigen muss, und die Situation ganz nüchtern betrachtet, dann stellen sich von allein folgende Fragen: „Mache ich gerade einfach nur, was ich will und gehe davon aus, dass mein Partner schon irgendwie nachkommt? Erziehe ich meinen Partner gegen seinen Willen zur Polyamorie? Sieht so ein Mensch aus, der wirklich klar kommt, weil er selbst mehr Freiheit braucht oder ist mein Partner in irgendeiner Weise abhängig von mir? Bin ich wirklich so frei, wie ich gern wäre?“

Mir geht’s nicht um Ethik & Moral und diese ganzen tonnenschweren Neurosebeschleuniger.

Mal ganz abgesehen von Ethik & Moral, vergessen wir sie kurz komplett.

Es geht um die Hygiene in der eigenen Psyche. Langfristig tut man sich selbst keinen Gefallen, wenn man eine Illusion der Freiheit aufbauscht dort, wo man eben nicht so frei ist.

Ja. Es geht nur darum, wie echt die eigene Freiheit ist. Und um nichts anderes.

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