Petr Pavlenski ist der Typ, über den ich mich vor paar Jahren beinahe in Stücke zerlacht hätte, weil er im Rahmen einer Performance seine…Verzeihung…Hoden an den Roten Platz genagelt hatte. Bei einer anderen Aktion rollte er mit Stacheldraht umwickelt irgendwo im Zentrum von Moskau hin und her. Den Mund hatte er sich auch mal live und ohne Narkose zugenäht usw. usw. Damals war mein einziger Gedanke: « Junge, wenn du schon so viele Zeugen brauchst, um deine borderlinisch-histrionschen BDSM-Gelüste vollwertig ausleben zu können, dann verkauf das wenigstens nicht als Kunst.».
Dann hat man ‘ne Weile nichts von ihm gehört. Bis er irgendwann nachts zum FSB-Gebäude (Föderaler Sicherheitsdienst der russischen Föderation) ging und deren Tür in Flammen setzte. Lolchen. Viele Lolchens. Ich glaube fast, Humor ist das einzige, womit man mich überhaupt noch eineigermaßen erreichen kann. Das Anzünden der Tür beim FSB finde ich zum Schreien komisch. Zumal es offenbar so simpel war.
Das war vor 7 Monaten. Seitdem find ich ihn gut. Was daran Kunst ist und was nicht, ist erstmal wurscht. In Russland geht es zur Zeit um ganz andere Dinge. Kunst, so wie man sie in Europa versteht, ist ein luxuriöses Symptom. Luxuriöse Symptome muss man sich erst leisten können. Wenn man aber noch im Epizentrum des Traumas steckt, kann man sich keine Symptome leisten. Da muss man wach sein und da muss man schnell sein, beim Denken, beim Umschalten, beim Mimikrieren. Keine Zeit für Sentimentalitäten.
Pavlenski wurde nun witzigerweise freigelassen.
«Vor der Gefangenschaft dachte ich, Angst wäre das wichtigste Instrument, um eine Gesellschaft zu kontrollieren. Aber sie ist nur eines davon. Das habe ich in den sieben Monaten Gefängnis verstanden. Bedürfnisse und Konsum sind auch sehr wichtig. Damit meine ich nicht den Schlaf oder die Nahrung, nicht solche primären Dinge. Nein. Ich meine eher, ob man, z. Bsp, einen Spaziergang machen darf oder nicht, ob man fernsehen darf oder nicht. Ob die Briefe, auf die man wartet, pünktlich kommen oder erst Wochen später. Ob dein Leben so bleibt oder ob es eine Möglichkeit gibt, dass es ein bisschen besser werden kann. Solche Kleinigkeiten sind genau die Manipulationen, mit den die Unterwerfung der Menschen beginnt.»
Vor 17 Jahren hat mal jemand meine Tagebücher auf den Küchentisch geknallt, nachdem er sie laut vorgelesen hatte. Die ganze «happy family» musste zuhören, darunter ein 6-jähriger. Dieses öffentliche Bloßstellen wurde mir natürlich auch noch in Rechnung gestellt.
Wenn man einem Menschen jegliche Privatsphäre entzieht, macht man ihn mundtot. Und wenn das erst erledigt ist, kann man mit ihm machen was man will.
So ähnlich ist es auch mit der Gesellschaft.
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