Effi Mora

Ekelhaft-physiologisches

24.02.2016

Vor ca. anderthalb Jahren wohnte ich drei Monate lang in einem Krankenhaus. Es war die schönste Zeit meines Lebens. Ich finde Krankenhäuser sehr beruhigend. Wenn es nach mir ginge, würde ich für immer in eine Klinik ziehen und von dort aus meine kitschigen Bildchen malen. Leider widerspricht das grundsätzlich dem Konzept «Erwachsenwerden», weshalb ich schweren Herzens auf diesen Luxus verzichte.
Wie dem auch sei, damals machte ich allerlei Notizen über den Klinikalltag, wohl eher über mich als physischen Körper, der sich in das stimmige, glatte Krankenhaussystem erleichtert eingefügt hat: darunter ein aufgeregter Eintrag mit der Überschrift «Ekelhaft-physiologisches».

«Da versteh mal einer bitte, was «Mittelstrahlurin» bedeutet! Und das um 6 Uhr morgens, wenn man selber noch total vermittelstrahlt ist. Ich bekam gerade schreckliche Angst, ich könnte drei Urinausgänge haben, die ich irgendwie 30 Jahre lang übersehen hab. Aber wie, zur Hölle, soll ich da den Mittleren finden?! Hä? hä? hä?
Und auch sehr beängstigend ist, wenn eine große, robuste Schwester an der Waage steht (man selbst ist dabei halbnackt und ausgeliefert) und in einem keine Widerrede duldendem Ton verkündet: «Wir wiegen dreiteilig!». Ich hab da gleich Bilder von kilometerlangen Fleischtheken im Kopf. «Einmal drei Hufe für die Sülze, bitte.». «

Was mir an diesem Klamauk auffällt, ist die gigantische Distanz zum eigenen Körper. Es ist alles irgendwie witzig, weil dieser alberne Körper auch sehr witzig ist, wie er sich bemüht irgendwas darzustellen und sich selbst dabei nicht ernst nehmen kann, und diese Witzigkeit hilft einem durch die Situation durchzurasen, wenn man eben in Unterwäsche auf den kalten Fliesen von einem albernen Bein auf das andere tritt und zögert, die Waage zu betreten, deren undankbarer Job es ist, uns unsere physische Manifestation in der Welt der Gegenstände zu verraten: «Glückwunsch! Sie wiegen genau so viel wie drei Säcke Kartoffeln. Und Sie da hinten, Sie können sich gern mit einem Berner Sennenhund vergleichen, denn so viel wiegen Sie. Ja.» Ab dem Hals abwärts war ich schon immer jemand anderes. Deshalb ist dieses Rumklamauken und Ins-Lächerliche-Ziehen in erster Linie eins — Anästhesie.
Ich kenne erschreckend viele Frauen und Mädchen, bei denen das ähnlich ist. Lassen wir mal die Ursachen in Ruhe. Daran kann man nicht mehr viel schönbasteln. Wir tragen uns schon irgendwie selbst durch die Luftschichten, kaufen uns Kleider und kämmen uns die Haare, manchmal gehen wir tanzen, dann dreht sich der alberne Körper in alle Richtungen und schwitzt und verheddert sich in den eigenen Beinen, und fällt beinah hin, aber der steif eingeschraubte Kopf passt die ganze Zeit auf. Manchmal haben wir Sex, dazu schrauben wir den Kopf einfach komplett raus. Methoden gibt’s ja einige. Und manchmal, nach dem Sport oder nach dem Baden in einem eiskalten See, stehen wir unter der Dusche und heulen uns die Seele aus dem Leib, weil der Körper in diesem Moment anfängt…sich anzufühlen. Er sagt: «Schau, du kannst mich nicht ignorieren. Ich habe vorhin DEINE Muskeln kontrahiert und DEINEN Dickschädel mit frischer Waldluft vollgepumpt. Das bist DU. Ich bin DU.».

Auch kenne ich Frauen und Mädchen, bei denen Kopf und Körper so gut miteinander vernetzt sind, dass sie sogar gern zum Gynäkologen gehen. Sie haben meistens einen, dem sie vertrauen, und immer, wenn sie seine Praxis verlassen, fühlen sie sich gesund und weiblich und erfreuen sich an der eigenen Ganzheit, an der so harmonischen Organisation der Organe, an ihrer hervorragenden, selbstständigen Arbeit.
Der Besuch beim Frauenarzt ist auf meiner persönlichen Horror-Skala irgendwo zwischen Fallschirmspringen und einer dreistündigen OP mit Vollnarkose angesiedelt. Wenn der Termin gleich am Morgen ist, fange ich schon in der Nacht an zu duschen. Ich betrete die Praxis geduckt und sich entschuldigend wie ein verkleideter Hochstapler. Ein Wunder, dass dieser saubere Tempel der intakten Körper und der glücklichen Schwangerschaften mir überhaupt eine Landeerlaubnis erteilt hat. Ich wasche mir die Hände, bevor ich dort irgendwas anfasse und nicht danach. Den Stuhl im Wartezimmer inspiziere ich genauestens nicht bevor ich mich hinsetzte, sondern wenn ich aufstehe. Ich will schließlich keine Spuren von Maschinenöl und ranzigem Tierfett hinterlassen, Niemand von diesen rosigen Personen in hellen Hosen, die mit gespitzten Mündern in ihrer Brigitte-Fitness blättern, soll von meiner stinkenden, sechsarmigen, dreiköpfigen Anwesenheit belästig werden. Ich bin ein triefendes, schmieriges Monstrum. Ich bestehe aus Polyisobutylen, Polyvinylacetat, Aluminiumoxid, Kieselsäure und Zellulose, weil ich seit 17 Jahren für keine Sekunde den Kaugummi aus dem Maul genommen hab. Lieber sich vergiften, als jemanden mit seinem zu ehrlichen, zu realen Atem beschmutzen. Viel lieber wäre mir ein gynäkologischer Stuhl in einer leeren, anonymen Fabrikhalle. Schön unpersönlich. Keine pfirsichfarbene Schwester am Empfang, keine Plakate von pausbäckigen Kindern und seligen Müttern. Das steht mir alles nicht zu. Ich bin hier ganz falsch. Es ist ein Versehen. Es tut mir leid. Unsereins sollte von einem Tierarzt für Großvieh untersucht werden. Das Wartezimmer verdunkelt sich, wenn ich rein gehe. Alles ekelt sich. Und dann werde ich aufgerufen und liege da, wie ein gelblich-bläuliches Huhn, an den Schenkeln gepackt, auseinander gezogen und gekreuzigt.
Im Bad hängt ein Spiegel, er zeigt eine Dramaqueen in einem dunkelblauen Trauerkleid, mit den schwärzesten Augenringen, die man sich vorstellen kann. Draußen scheint die Sonne, irgendwas tropft ganz sanft vom Himmel. Das Universum weint um meine Dummheit. Es wird alles wieder gut. Gaaanz ruhig. Es ist vorbei.

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