Effi Mora

Hölle, self-made. Teil 1 — Die Hölle der Selbstüberschätzung.

18.03.2019

Menschlichen Marotten gegenüber bin ich sehr tolerant. Man kann sogar sagen, dass sie eines meiner Spezialinteressen sind. Vor allem versuche ich zu verstehen, welche Marotte zu welcher Art von Hölle führt.

 

Oft erlebe ich in meinem Umfeld, dass ein neuer Mensch, etwa ein neuer Arbeitskollege oder ein neues Gesicht im Freundeskreis, nicht selten aber auch jemand, den man schon ewig kennt, als dümmer, unglücklicher, hilfsbedürftiger, verklemmter usw. eingeschätzt wird. Meistens ist es bei gleichgeschlechtlichen Personen so, da dort der Konkurrenzdruck höher ist, aber auch geschlechtsübergreifend.

 

Eine andere Person beim ersten Kontakt irgendwie einzuschätzen, ist essentiell wichtig und läuft instinktiv ab. Seit Jahrtausenden bedienen sich die Menschen dieses Instruments, um Gefahren abzuwenden bzw. passende Fortpflanzungspartner zu finden. Was mich aber immer wieder wundert, ist die Tendenz vieler Menschen, den Anderen im Kontakt zu unterschätzen und sich selbst zu überschätzen. Der Grund ist banal — Selbstbestätigung. Dabei ist das doch furchtbar gefährlich und versperrt komplett die Sicht auf die reale Lage. Das macht dich selbst verwundbar und, um ehrlich zu sein, auch ziemlich unsympathisch.

 

Unweigerlich geht dann dieses, wie ich das nenne «großzügige Bemitleiden» los. Mit Mitgefühl hat das gar nichts zu tun. Mitgefühl ist so alt wie die Welt und kann Kaputtes heilen und reparieren. Beim «großzügigen Bemitleiden» geht es nur um die verführerische Delikatesse namens «Ich bin nicht nur besser als du, sondern auch edler, weil du mir auch noch leid tust.». Mitgefühl erkennt man daran, dass es eine wesentlich feinere Resonanz erzeugt, und sich niemand verarscht fühlt.

 

Zum Beispiel denkt ein Mann, der gerade eine Frau kennen gelernt hat, die nicht unbedingt seinem Geschmack entspricht und recht unscheinbar rüber kommt: «Ach, warum denn nicht. Dann werde ich diese graue Maus mal glücklich machen. Ist immer süß, wie dankbar sie sind, wenn sie überhaupt mal einen abkriegen, geschweige denn so jemanden wie mich.». Und während dieser Pfauenschwanz damit beschäftigt ist, die graue Maus mit seiner strahlenden Existenz zu beglücken, wird er selbst immer abhängiger von ihr, einfach weil die Rolle des emotionalen Mäzens so furchtbar gut schmeckt.

Dabei entgeht ihm völlig, dass die graue Maus die ganze Zeit ihre eigenen Pläne hat, die ihn gar nicht mit einschließen, dann stellt er plötzlich fest, dass sie gar nicht so grau ist und überhaupt eigentlich recht hinreißend und sogar zu ihm passt wie keine zuvor. Aber Mist. Sie scheint gar nichts von ihm zu wollen, wie konnte das nur passieren? Nun ja, er hat sie von Anfang an falsch eingeschätzt. Selbst schuld.

 

Noch ein Beispiel. Eine Frau hat mal mich «großzügig bemitleidet», und das mit einem solchen Enthusiasmus, dass ich schon fast Angst bekommen habe. Aus irgendwelchen nur ihr allein bekannten Gründen war ich in ihren Augen so was wie eine «unglückliche, einsame Freundin, die schnellstmöglich verkuppelt gehört.». Das gab ihrer illusorischen Krone so einen Kick, dass sie richtig taub wurde. Sie hörte mich einfach nicht, als ich versuchte zu erklären, dass ich überhaupt zum ersten Mal seit vielen Jahren Single bin und mir diese drei Jahre Auszeit für eine Traumatherapie nehme, um den nächsten Partner nicht ganz so dolle mit meiner Vergangenheit zu belasten.

Hätte sie die reale Lage gleich gesehen, wäre das für sie weniger frustrierend, peinlich und enttäuschend. Denn die reale Lage war, dass mit mir alles in Ordnung ist, ich meinen Weg gehe und, wenn ich Hilfe brauche, dann hole ich diese von kompetenten Menschen. Die reale Lage war aber auch, dass sie von einer Beziehung in die nächste torkelt wie ein Bahnhofsjunkie, absolut unfähig, ihre inneren Widersprüche mit sich selbst zu klären, und diese extreme Bedürftigkeit versucht, als Stärke zu verkaufen. Als es ihr so langsam aufging, war das so schmerzvoll, dass sie in die nächste depressive Episode gestürzt ist. Depressive Episoden folgen erstaunlich oft einer Episode der unbegründeten Selbstüberschätzung.

 

Oder ein etwas übereifriger Arbeitskollege, der einen Neuling als «so’nen richtigen Trottel» einschätzt und anfängt, ihm selbst die simpelsten Dinge in der Firma durchzukauen, als hätte er es mit einem Dreijährigen zu tun. Nach der Arbeit sitzt er dann mit seiner Frau am Esstisch und ergötzt sich an seiner Überlegenheit. Da ist sie wieder, die verführerische Delikatesse, die langsam ihre giftige Wirkung entfaltet.

Der Trottel macht dabei einfach nur seinen Job und diskutiert nicht rum. Er muss nichts beweisen. Als raus kommt, dass der vermeintliche Trottel vom Chef als höchst kompetent angesehen und sogar recht schnell befördert wird, steht der Andere ziemlich blöd da. Er hat sich selbst die Sicht auf die reale Lage versperrt und ist nun, ups, selbst ein ziemlich lächerlicher Trottel.

 

Das Problem bei der Selbstüberschätzung und gleichzeitiger Unterschätzung des Anderen, ist nicht, dass es pfui böse ist. Sondern, dass die Menschen sich damit selbst schaden. Und Selbstschädigung ist wiederum wirklich einfach nur pfui.

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