Menschen, die vor langer, langer Zeit eine sehr große Rolle in deinem Leben gespielt haben, kannst du nicht einfach so treffen. Wie sieht denn das aus? Wir hatten so ein brasilianisches Drama mit Tellerschmeißen und Bettwäschezerrupfen, und jetzt sitzen wir beim Bäcker um die Ecke und rühren in unseren Tassen? Absolut unvorstellbar. Links neben uns fallen andauernd Tabletts aus dem Wagen, rechts von uns wird gerade eine Windel gewechselt, die Bäckerin schreit in die Küche nach Sahne und ins Büro nach Kleingeld und neuen Pappbechern, auf dem Tisch zwischen uns — ein beigefarbenes Stück Butter mit Butterrosen, Krokant, Butter und Butterglasur. Keiner traut sich, das Ding anzufassen. Wessen Idee war das? Davon kriegt man doch noch mehr Herzklopfen. Und wie will man in diesem Ambiente, bei der grellen OP-Beleuchtung, die jede zittrige Geste und jede ungelenke Grammatik, jeden verlegenen Seufzer sofort entlarvt und bloßstellt, überhaupt irgendwas ansprechen, geschweige denn was Wichtiges, z. Bsp. warum alle Beteiligten solche Idioten sind? Nein, solche Treffen dürfen nicht übers Knie gebrochen werden. Im Idealfall hat jeder vorher in seinen Terminkalender reingeschaut (seit März keine Einträge), dem anderen versichert, dass er alles, was zu verschieben ging, verschoben hat, ja auch die ganz wichtigen Sachen, natürlich. «Och, das hättest du nicht machen dürfen! Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen» — «Was? Nein, spinnst du? Natürlich habe ich das verschoben. Ist doch klar.». Und dann, weil beide inzwischen reifer und klüger, und diesem Treffen, und diesem Gespräch, gewachsen sind, kann endlich die Frage geklärt werden, ob ̶z̶u̶ ̶d̶i̶r̶ ̶o̶d̶e̶r̶ ̶z̶u̶ ̶m̶i̶r̶ bei deiner Therapeutin oder bei meiner? Weil, nein. Absolut unvorstellbar, dass man so ein Treffen ohne Moderation überlebt.
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