Achtung! Achtung! In diesem Text geht es NICHT um Menschen, die sich für allerlei Gutes engagieren und ihre Arbeits- oder Freizeit altruistisch nutzen. Aber sehr wohl geht es in diesem Text um diejenigen, die gar keine Weltretter sein wollen, aber aus irgendwelchen Gründen denken, dass sie ja unbedingt müssen (das nur, weil ich nach fast jedem Text von mehreren Freunden unabhängig voneinander gefragt werde, ob ich sie persönlich damit meine. Und meine Freunde sind aber fast alle engagierte, bewusst lebende Menschen, also meine ich euch nicht. Geht Haia machen. Gute Nacht :-* ).
Ich schreib jetzt mal was furchtbar unfreundliches. Achtung. Ich hab’s ja voraus geschickt.
Offenbar ist es uncool geworden, die Dinge beim richtigen Namen zu nennen. Ganz speziell geht es mir da um den so genannten kreativen Prozess. Um den so genannten künstlerischen Ausdruck.
Es gibt ja unterschiedliche Bücher und wissenschaftliche Arbeiten, deren Autoren versuchen zu ergründen, was ein künstlerischer Prozess überhaupt ist. Das würde hier den Rahmen sprengen, deshalb lass ich die Beispiele weg, lässt sich alles ergoogeln. Wenn ich in diesem Text vom künstlerischen oder kreativen Prozess ausgehe, dann meine ich, stark vereinfacht erklärt, jene Methoden, mit Hilfe gestalterischer, linguistischer, darstellender, musischer oder sonst wie rampensäuischer Mittel, mit der Welt in Kontakt zu treten, die Menschen anwenden, wenn sie was mitzuteilen haben (auf die Qualität dieser Mitteilungen und auf die Frage, ob nun Kunst oder nicht, werde ich natürlich nicht eingehen. Dazu fehlt mir ganz viel Wissen und weiß der Geier was noch alles. Diese Frage darf gern auf immer und ewig unbeantwortet bleiben). Und dazu dürfen heutzutage, meiner Meinung nach, nicht nur die künstlerischen Äußerungen im ähm akademischen Sinne zählen, sondern ganz unelitär — auch solche Phänomene wie Kommentare, persönliche Seiten, Blogs, die sich etwa dem eigenen Leben in einem texanischen Nirgendwo zwischen Kühen und Maisfeldern in Text und Bild zuwenden, Instagramme von ehemaligen 300-Kilo-Menschen, die inzwischen jeden Marathon mitlaufen, Seiten von Hobbymalern, die zu 99% aus den Porträts verstorbener Verwandten bestehen, trashige Koch- und peinliche Modeblogs usw. usw.
Wir leben nun mal nicht im blühenden Florenz der Medici-Zeit, als es zwei/drei, wenn’s hoch kommt vier hochbegabte Machokünslter gab und der Rest der Meute höchstens assistieren durfte, sondern im WWW des 21. Jahrhunderts, wo links und rechts, und oben und unten kreative Prozesse laufen und jeder irgendwie ein Künstler ist oder sich zumindest selbst als solcher sehen darf. Wer wird’s denn verbieten? Na Niemand. Wenn’s gut tut, dann nenn’ dich eben Künstler. Ich nenne mich ja am liebsten Trotteline mit Hund. Und warum? Weil’s gut tut. Und weil das eine sehr bequeme Position ist, nach dem Motto «Na hoppla! Aber was habt ihr denn erwartet?». Ach Quatsch, nein. Das ist nichts Kokettes. Eher was Selbstironisches. Man tut, was man kann, mit dem, was man hat.
Wie dem auch sei. Ich stelle in letzter Zeit oft fest, dass erschreckend viele kreative Äußerungen (Texte, Bilder, Lyrik, Videos etc.) mit dem aufwertenden Zusatz «Im Namen der/des…» versehen werden. Aufwertend und manchmal sich entschuldigend. Man darf irgendwie nicht mehr kreativ sein nur der Kreativität wegen. Das scheint als rückständig zu gelten. Es muss irgendeinen höheren Sinn haben, im Idealfall ganz vielen Menschen helfen, oder zumindest auf irgendein Problem hinweisen. Wenn du von 1997 bis 2004 essgestört warst und auf die Idee kommst, diese Erfahrungen in Worte zu fassen, um diese wiederum zu wohlklingenden, sich flüssig lesenden Sätzen zusammenzufügen, dann vergiss bloß nicht, drüber zu schreiben, dass du im Namen aller Frauen gegen die beknackten ästhetischen Vorstellungen, die die Medien/Männer/homosexuelle Modedesigner (zutreffendes auswählen) vom weiblichen Körper haben, kämpfst und ab sofort mit der so knusprigen Vokabel «Frauenrechte» in Verbindung gebracht zu werden wünschst. Kann es aber nicht einfach nur eine traurige, persönliche Geschichte einer Frau bleiben, die auf ihrem Weg in die Krankheit rein und aus der Krankheit wieder raus ganz schön einsam war? Ich glaube, dass eine authentische, ehrliche, traurige oder auch stellenweise witzige kreative Äußerung, welcher Art auch immer, tatsächlich Menschen erreichen kann, die gerade selbst mitten drin stecken und eine flüchtige Berührung an der Schulter brauchen, die ihnen sagt: «Hier. Ich bin da, ich hab das auch erlebt.». Diese Berührung darf und wird auch von einem Stoff ausgehen, der kein Prädikat «besonders gesellschaftlich relevanter und sozialkritischer Artikel» als fetten Banner trägt.
Irgendwie haben viele Angst davor narzisstisch zu wirken, wenn sie ihrem kreativen Prozess keine sinnvolle Aufgabe geben, sondern einfach nur drauf los schreiben, malen, dichten, fotografieren, performen. Wenn sie eben diesen Prozess nicht wie einen abgerichteten Hund auf irgendwelche Feinde und Unterdrücker losschicken. Und ich lass mich davon beeinflussen! Ja. Geb ich zu. Aber, oh man! Genau dadurch wirkt man doch erst recht narzisstisch! Wenn man sich selbst ständig maßlos überschätzt in seinen Weltretterfantasien; wenn über einem sehr persönlichen, schon fast egozentrischen Blog in knallroten Buchstaben prangt «Hier geht’s um Frauenrechte!». Man macht sich übrigens sehr angreifbar dadurch. Unter diesen Umständen kann nämlich jeder, der ein Minimum an Streitlustigkeit mitbringt, in die persönliche, kuschelige Privatstube reinplatzen und nach der Rechenschaft brüllen: Na du Superheld! Erzähl mal, wie viele Tausend leidende Seelen hast du zum Beispiel heute aus dem stinkenden existentiellen Sumpf gerettet?». Je angemessener die Ambitionen, desto größer die potentiellen Möglichkeiten, finde ich. Was nützt es denn, sich ein Programm auf die Fahne zu drucken, wenn man es real nicht umsetzen kann? Ist es da nicht sinnvoller und effektiver, ganz ohne grandiose Töne, zu schauen, was man real zu bieten hat? Oder geht es darum, dass in 200 Jahren irgendwelche extraterrestrischen, grünen Archäologen, nachdem sie sich durch Yottabytes von digitalen Cogito ergo sum Bekenntnissen durchgekämpft haben und alle kreativen Aussagen in Kategorien unterteilt haben, nur diejenigen ausreichend honorieren, die ungeachtet der wahren Intentionen im Klappentext irgendwas weltretterisches stehen haben? Andererseits, was weiß ich schon über die wahren Intentionen… Ich finde nur, dass es eine ziemlich lähmende, traurige Sache ist, jeglichem kreativen Prozess mit einem «Ich bin ein gutes Kind! habt mich lieb! engagierter Bürger»-Stiefel auf die Luftröhre zu treten. Deshalb schrieb ich ganz am Anfang «die Dinge beim richtigen Namen nennen». Dazu müsste man aber, wie gesagt, die Dämonisierung der narzisstischen Komponente der Kreativität aufheben. Man darf natürlich, ganz ohne die Gesellschaft zu retten, kreativ sein. Für sich selbst. Für die Inhalte, die einem im Kopf schwirren, einfach so. Der Schönheit wegen! Warum denn auch nicht? Wessen schwarzer Schatten ist denn das, der da einem über die Schulter schaut und einen immer wieder anzischt, gemeinnütziger zu werden, seinem Tun eine vermeintlich sinnvolle, brauchbare, servicefreundlichere Richtung zu geben? Es scheint, als wäre uns mit der zunehmenden Politisierung der Sinn für Schönes abhanden gekommen. Und das Schöne darf doch aber einfach nur sein, ohne zigtausend Aufgaben zu erfüllen. Um genauer zu sein, erfüllt das Schöne auch zigtausend Aufgaben. Es kann trösten, aufwecken, durch schlimme Zeiten helfen, provozieren, einschläfern, erregen, aufregen, wütend machen, träumen lassen. Einfach nur indem es einem nicht auf den Sack geht, mit irgendeinem moralischen Zeigefinger, sondern einfach nur da ist und nichts verlangt… Wenn’s nicht gefällt, einfach weiter laufen. Hier wird Niemand zu irgendwas gezwungen. Geschmack = Freiheit, zumindest in diesem Fall.
Ich möchte es noch einmal betonen — ich bin mit allen Pfoten Extremitäten dafür, dort zu helfen, wo man helfen kann, und dort seine Ressourcen zu erweitern, wo man noch nicht helfen kann (weil man sich zum Beispiel mit seinem komplexen Ego selbst im Weg steht). Ja, wir sind soziale Wesen und leben von der Interaktion mit anderen sozialen Wesen. Aber der Witz ist (und da seh’ ich gerade jemanden die Nase rümpfen), dass jede freie künstlerische Äußerung, so doof sie auch aussehen mag, näher an der Normalisierung des Einzelnen (und vielleicht auch der Gesellschaft) ist, als der, von wem auch immer auferlege Zwang, unbedingt gut und brauchbar zu sein.
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