Effi Mora

Sonntag. Zirkus. Knoblauch.

01.10.2017

Ja, schon irgendwie selber schuld, wenn man sein Katerfrühstück auf dem Rummel holt. Gefüllte Artischocken — 0,03% Artischocke, 99,97% — Füllung. Was ist das überhaupt? Frischkäse? Warum ist er denn so hart und kalt wie mein Singledasein? Und warum so viel? Frischkäse dezent umhüllt von Espuma mit Artischockenduft für 7,90 bitte.
Essbares vom Rummel war doch aber schon immer der Push-Up und die Fake Lashes unter den Fastfooderzeugnissen. Das weiß man doch, Frau Mora. Ja, sollte man eigentlich wissen.

Eine ca. 50-jährige Dame mit dem eingefrorenen Pfui-Ausdruck im Gesicht administriert dem Schaschlik-Verkäufer: «Meinen Fleischspieß packen Sie aber bitte ein!».
«Jawohllll!» — man sieht ihm an, dass es ihn nervös macht, wie sie alle seine Bewegungen beobachtet und gedanklich in die untersten Eingeweideschichten zerteilt.

Bei Frauen mit dem Pfui-Gesicht fühlt man sich oft ganz automatisch wie ein kleines Kind, das Mist gebaut hat und nun irgendeiner bekloppten, sadistischen Strafe entgegensieht. Auch wenn man schon längst erwachsen und bärtig ist, und auch, wenn einem diese Tante mit ihren Imperativen eigentlich am Arsch vorbei geht. Ein uralter Mechanismus, den man nur schwer steuern kann. Dann fallen einem plötzlich die Brötchen runter, man schmeißt den Serviettenhalter um, bleibt mit dem Ärmel am Grill hängen. Und die Krönung — um die Stimmung zu lockern, macht man Witze. Und Witze, die aus der Not heraus gemacht werden, sind meistens zum Heulen. Er schneidet großzügig Alufolie ab, genug um eine ganze Technoparty zu dekorieren, haut zehn Servietten statt einer dazu, wickelt den verdammten Spieß mehrlagig ein und überreicht ihn dieser personifizierten Ungeduld mit den Worten: «Hier, Ihre Fleischblume, bitte schön!». Ohgottohgottohgott, hat er jetzt nicht wirklich, hat er? Er merkt es selbst, sein Blick sagt: «Oh fuck…». Sie schnaubt verächtlich und zieht davon wie ein majestätischer Zeppelin.

 

Es nieselt.

Im dunklen Zelt, der zu einem Rotweinstand gehört, sitzen zwielichtige Gestalten in Anzügen und flüstern einander Zahlen zu.

Von allen Seiten starren große, bunte Glubschaugen, die nur durch Zufall an irgendwelchen Plüschtieren befestigt sind. Eigentlich geht es nur um diese Augen. Ich finde, man kann ruhig konsequent und aufrichtig sein und das menschliche Bedürfnis, Etwas mit riesigen Glubschaugen zu besitzen, komplett freilegen und nur Augen verkaufen. Nackt, ohne Verpackung. Ich will nur die Augen bitte, danke. Weil ich von ihnen auf diese Weise angestarrt werden möchte. Das gibt mir ein gutes Gefühl und ich habe schließlich ein Recht darauf.

Plastikherzen und Kuhmützen. Histrionisches Theater. Und wenn man den Vorhang wegzieht, kommen Leere und Trauer zum Vorschein. Lieber nicht.

 

Verbrannte Mandeln riechen besser als sie schmecken, das ist eine Konstante, darauf kann man sich verlassen. Aber zu den drei Standardsorten der Schokoglasur — zartbitter, mittelbraun, weiß, — kam nun die vierte Sorte — pink.

Einfach durchlaufen funktioniert nicht — an jedem Oliven-Peperoni-Stand wird man mit einer Plastikgabel gepikst, auf der «Irgendwas mit Knoblauch» liegt. Knoblauchcreme, Knoblauchpaste, Knoblauchkäse. Probieren Sie! Die erste Dosis ist gratis.

Ungefähr in der Mitte dieser langen Partywurst, Höhe Markthalle, spielt die unabänderliche Panflötenband das unabänderliche Titanik-Lied.
Ja, es ist wahr, dieses Schiff sinkt. Aber einige von uns werden sich retten.

 

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